Titel
Terror and Terroir. The Winegrowers of the Languedoc and Modern France


Autor(en)
Smith, Andrew W.M.
Reihe
Studies in Modern French History
Erschienen
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
£ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heinz-Gerhard Haupt, Universität Bielefeld

Hinter dem schmissigen Titel der in Oxford verteidigten Dissertation verbirgt sich eine Studie, in deren Mittelpunkt mit der CRAV (Comité Régional d’Action Viticole) eine 1961 gegründete und bis in die 1980er-Jahre hinein aktive Verteidigungsorganisation von Weinbauern des Languedoc steht. Diese hatte sich aus einer Vielzahl von kleineren Zusammenschlüssen der 1960er-Jahre als Wortführerin herausgebildet, mit Klassen übergreifenden Strukturen und der Anlehnung an die im Süden tonangebende sozialistische Partei. Sie spielte eine dominante Rolle bei der öffentlichen Vertretung der Interessen von Weinbauern und schreckte dabei auch vor direkten und gewaltsamen Aktionen nicht zurück. Die Struktur, Aktionen und Ziele dieser Vereinigung ebenso wie ihre wichtigsten Wortführer werden breit vorgestellt und in ihren Verlautbarungen und Aktionen über die verschiedenen Phasen der französischen Agrar- und Weinpolitik der Fünften Republik nachverfolgt.

Dabei rückt Smith vor allem drei Bezüge in den Mittelpunkt. Einmal der Rückgriff auf die Weinbauernrevolte von 1907, die er als „founding myth of viticultural radicalism in the Languedoc“ (S.13) bezeichnet und die er auf der Basis einer breiten französischen Forschung rekonstruiert. In ihr protestierten von der Phylloxera und der Deindustrialisierung des Südens in ihrer Existenz bedrohte Bauern und Arbeiter zu Hunderttausenden gegen die Politik der Regierung und für ihre ökonomischen Interessen, ohne allerdings die Republik als Regierungsform in Frage zu stellen. Besondere Bedeutung erhielt diese grande révolte du Midi1 durch die Weigerung von 500 Infanteristen, gegen die Demonstranten in Montpellier und Béziers vorzugehen. Nach 1945 bemühten nicht nur politische Parteien wie die PCF oder die PS das Vorbild von 1907, um den Widerstand gegen die Politik des Zentralstaates zu rechtfertigen, sondern auch die CRAV, um ihrerseits gewaltsamen Protest zu verteidigen.

Damit rückt eine detaillierte und bisweilen ausufernde Analyse der gewerkschaftlichen Interessenvertretung der Winzerinteressen in den Mittelpunkt der Analyse. Denn die CRAV stand nicht allein, sondern wurde in ihrem Vertretungsanspruch von zwei Seiten in Frage gesellt. Einerseits entstanden nach 1945 neben der CRAV Interessenvertretungen der Kleinbauern wie die MODEF (Mouvement ouvrier de Défense des Entreprises Familiales), die der kommunistischen Partei nahestanden und sich für Steuererleichterungen und gesicherte Agrarpreise einsetzten. Andererseits breiteten sich nationale Agrarorganisationen wie die FNSEA (Fédération Nationale des Syndicats d’Exploitants Agricoles) im Süden aus, die sich für die Modernisierungsprogramme der Regierungen engagierten und schließlich auch die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft akzeptierten. In dem Maße, in dem die CRAV als Vertretung der kleinen Winzer an Einfluss und Gewicht verlor, nahm auch die Tendenz zu direkten Aktionen zu. Bomben gegen Supermärkte und Eisenbahnlinien, Blockade von aus Spanien, Algerien oder Italien stammenden Weinimporten, Barrikaden und Demonstrationen gehörten zu dem Aktionsrepertoire, das aber zunehmend in der Öffentlichkeit an Zustimmung verlor und auf nationaler Ebene bekämpft wurde. Dieser Teil der Studie arbeitet detailliert den Protest als Charakteristikum des Languedoc heraus.

Schließlich rücken auch die staatlichen agrarpolitischen Maßnahmen in das Zentrum der Analyse, mit denen die verschiedenen Regierungen versuchten, das Überleben des Weinbaus in Südfrankreich zu organisieren. Wie zentral diese Aufgabe für die jeweiligen Regierungen war, lässt sich an der Ernennung von so prominenten Politikern wie Jacques Chirac und Michel Rocard als Landwirtschaftsministern ablesen. Zwischen den Wünschen der kleinen Winzer nach Begrenzung der Weinimporte, dem Kampf gegen Panscherei und Finanzierungshilfen und den durchgehenden Bemühungen der Regierungen, die Anbaufläche für Weinberge zu begrenzen, die Qualität der Weine des Languedoc zu verbessern und Kooperativen zu bilden, bestand jedoch eine tiefe Kluft, die in wiederholten und oft auch gewaltsam ausgetragenen Konflikten zum Ausdruck kam. Besonders die europäische Agrarpolitik und der Eintritt Spaniens in die EU gehörten nach Smith zu den Faktoren, die von den Verteidigungsorganisationen der Winzer als Ursachen für die Krise des Weinbaus angesehen wurden. Diese schwelte in den 1970er-Jahren, verlor dann aber mit dem Bevölkerungsverlust des Südens, der zunehmenden Bedeutung von Genossenschaften und der Umstrukturierung des Weinbaus an Bedeutung.

Die Einführung einer vergleichenden Perspektive hätte der Studie noch mehr Überzeugungskraft verliehen. Der Blick auf die Gegend um Bordeaux hätte neben Ähnlichkeiten auch die Besonderheiten einer durch Qualitätsweine ausgezeichneten Region gezeigt. Der internationale Vergleich mit der spanischen Situation, aber auch mit den Aktionsformen der italienischen Bauern des Mezzogiorno nach 1945 hätte die Frage nach der Spezifik des Languedoc aufgeworfen.2

Die Studie arbeitet archivalisches Material aus den drei südfranzösischen Departements (Aude, Hérault und Gard) auf, stützt sich auf die breite lokale und regionale Presse und auf einzelne Interviews. Sozialwissenschaftliche Forschungen oder Erklärungsansätze spielen keine große Rolle.3 Dies macht sich vor allem in den Teilen bemerkbar, in denen die gewaltsamen Aktionen im Mittelpunkt stehen. Zwar wird immer wieder und in Übereinstimmung mit der französischen Gewaltforschung die fehlende Berücksichtigung lokaler und regionaler Interessen durch den Zentralstaat als Ursache für Gewaltaktionen zitiert und betont, dass auch unwirksame und begrenzte Vertretungen von Winzerinteressen den Griff zu Steinen, Gewehren und Bomben begünstigten. Über diese Schilderung von Kontextbedingungen von politischen Gewaltformen hinaus bleibt die Analyse der Akteure von Gewalt blass. Freilich werden sie den kleinen Winzern zugerechnet, die in Opposition zu den Großbetrieben und den Weinhändlern stehen, aber darüber hinaus erfährt man über die Motivstruktur der gewaltsam Handelnden wenig. Freilich wird nach Verbindungen zwischen den Aktionen der Winzer und parallel stattfindenden auch gewaltsamen Aktionen von Arbeitern in Decazeville, Regionalbewegungen im Larzac oder die Unruhen des Mai 1968 gefragt. Aber diese werden eher als Kontexte denn als Erfahrungen der Handelnden gewürdigt. Der Hinweis, dass vor allem jüngere Winzer als Soldaten im Algerienkrieg gedient und dabei erfahren hatten, wie erfolgreich gewaltsame Aktionsformen waren, wird nicht dadurch vertieft, dass Angaben über deren Anteil an den Aktivisten der Winzerbewegung gegeben oder individuelle Beispiele anhand von Interviews präsentiert werden. Angesichts dieser begrenzten Aufmerksamkeit für Akteure überrascht es, dass in einem Passus die Rolle der Frauen in der Winzerbewegung diskutiert wird (S. 98ff.). Diese fehlten in den durchweg männlich dominierten Bewegungen zwar nicht, und sie waren häufiger bei Demonstrationen als bei Gewaltaktionen präsent. Aber die CRAV versuchte doch, sie zu mobilisieren, obwohl die Bedeutung der familiären Mitarbeit unter den Winzern zurückging und Frauen zunehmend stärker Haus- als Erwerbsarbeit verrichteten.

Gleichwohl bietet Smiths Studie einen differenzierten und innovativen Einblick in die Produktions- und Absatzbedingungen des Weinbaus im Languedoc, die Wahrnehmung der besonders auf Tafelwein spezialisierten Gegend sowohl aus der Perspektive der lokalen Winzer und ihrer Organisationen als auch der jeweiligen nationalen Regierungen. Die Überzeugung, eher Opfer der Agrar-und Weinbaupolitik denn respektierte Gesprächspartner zu sein, trug ebenso wie 1907 auch in der Fünften Republik dazu bei, dass demonstrative Gewaltaktionen vielen Winzern als Ultma Ratio erschienen, um ihre Interessen anzumelden.

Anmerkungen:
1 Guy Bechtel, La grande révolte du Midi, Paris 1976.
2 Geneviève Gavignaud-Fontaine, Le Languedoc viticole, la Méditerranée et l’Europe au siècle dernier, Montpellier 2000; Hans-Jürgen Puhle / Ludger Mees / Klaus-Jürgen Nagel, Kampf um den Wein. Modernisierung und Interessenpolitik im spanischen Weinbau. Rioja, Navarra und Katalonien 1860-1940, Wien 2005; Paolo Pezzino, La riforme agraria in Calabria, Mailand 1977.
3 Siehe etwa Olivier Fillieule / Éric Agrikoliansky / Isabelle Sommier (Hrsg.), Penser les mouvements sociaux. Conflits sociaux et contestations dans les sociétés contemporaines, Paris 2010; Xavier Crettiez / Isabelle Sommier (Hrsg.), Les violences politiques en Europa. Un état des leux, Paris 2010; Xavier Crettiez / Isabelle Sommier, La France rebelle, Paris 2006; Philippe Braud, Violences politiques, Paris 2004.